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Das Recht auf Glück

von Prof. Dr. Arnhelm Neusüss

Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Albert Camus

Das Glück, das im Auge des Denkenden aufgeht, ist das Glück der Menschheit.

Th.W. Adorno

Glück ist kein Zustand, sondern ein Vorgang. Es kann nur die Aus­nahme sein, nicht die Regel. Wer dem Glück nachrennt, nämlich als einem Zustand, dem rennt es hinterher, nämlich als Erlebnis, das sich ihm nicht ereignen kann. So meinte Brecht, als er noch nicht fromm war. Wer jedoch mit dem Glück als Ereignis rechnet, dem fällt es sogar gelegent­lich zu, manchmal geradezu in Strähnen, wie das Pech. Und das wiederum hängt, eben weil Erlebnis, auch von der Einstellung ab. Schwein gehabt: dies lehrt uns das Märchen. Aber die Absicht, Glück als Heil auf Dauer zu stellen, führt ins Unglück, ins Unheil: das zeigt uns die Utopie. Denn der Dauerzustand wäre Endzustand, hosianna, nur im Himmelreich zu haben. Woraus sich ergibt, daß wir das Glück als etwas vornehmlich, wenn auch nicht nur Subjektives zu begreifen haben - ein bißchen materielle Butter muß schon sein bei die ideelle Fisch: gebunden ans Individuum. Nicht also als etwas wesentlich Objektives, geheftet an die Gesellschaft. Freilich, man hört vom Glück mitunter auch als von einem Zustand, einem dauerhaften sogar. Dann handelt es sich jedoch gerade nicht um ein objektives Glück, also um Seinsgegebenheit, sondern um ein subjektives, eine Bewußtseinslage: um das Glück im Winkel; um das Glück der letzten Menschen, die es erfunden haben, auf der Wiese liegen und blinzeln, wie Zarathustra aus der Zukunft meldet; um das Glück "der Mücke, die noch innen hüpft", dem Rilke nachhängt; oder um das Glück in Benns Bestimmung - "dumm sein und Arbeit haben". Mit einem Wort: es ist ein verächtliches, ein verachtetes, wenn auch gern nostalgisch verklärtes Glück. Und zwar nicht nur deshalb, weil es Narkotika wie Alkohol (Rilkes "Bier 'Todlos'") und Religion (Marx' "Opium der Volkes") bemühen muß, sondern vor allem, weil es im Kontrast steht zur Freiheit, also zur Idee des von Fremdbestimmung emanzipierten Menschen. Natürlich zur individuellen, was sonst. Womit der Bogen geschlagen ist: Das Individuum kann sich als Subjekt, das die Autonomie seiner Vernunft, die Offenheit seiner mentalen Horizonte behauptet, in dieser Unfaßlichkeit nicht heimatlich fühlen, also nicht glücklich, es erfährt sich geradezu als "das Gegenglück, der Geist" (Benn). Und doch ist es zugleich der intentionale Kraftquell allen Strebens nach Glück. - Wenn alledem nun aber so ist - und jeder Blick auf die Universalgeschichte von Macht und Denken belegt es - , dann fragt sich peinlich, was die Rede vom Recht auf Glück denn besagen soll. Was wäre das wohl für ein Recht? Solls von der Natur herrühren? Gewährt es der Staat? Ist es "mit uns geboren" (Mephisto/Goethe), sollten wirs einklagen können? Natürlich: weder/noch. Man ist ja heraus aus dem Mythos, dem der Aufklärung wie dem der Politik. Ist es aber kein Naturrecht und kein positives Recht, so kann es sich nur um ein historisches handeln, und nur in diesem Sinne wird die einschlägige Bestimmung der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, jenes militante Erbgut der europäischen Selbst­verständigung begreiflich, das allen gemeinschafts­trunkenen Fundamentalismus verwirft: Daß dem individuellen Menschen die Möglichkeit eingeräumt sein muß zu verfolgen, was er - und niemand kanns ihm nehmen - für sein Glück hält. Das ist ein historisches Recht, weil es endlich paraphiert ist. Aber es ist, paradox genug, zugleich auch ein überhistorisches, weil es schon immer ausgeübt wurde und in diesem Anspruch seit Adam galt. Es ist, sagen wirs so frank und frei, wie es uns eingelegt und inzwischen also zugestanden ist, das Faustrecht! Nun aber, bitteschön, mit der eingebauten Erwartung auf die Einsicht, daß es, da Jeder es besitzt, nicht monopolisiert werden kann und daher der Vereinbarung über sein Ausübungsmaß bedarf. Das Recht auf Glück ist demnach das Faustrecht auf den glücklichen Augenblick in den Grenzen des Gesetzes (Jaroslaw Hasek). Und dazu gehört selbstverständlich auch das Bestreben, den kurzen Moment, den das jeweilige Leben ausmacht, auf die äußerste Dauer zu stellen, die die medizinische Evolution erlaubt. Wer aber kann dieses Faustrecht besser dartun als der Künstler angesichts des geglückten Werkes - einladend zugleich zu dessen schöpferischer Verallgemeinerung im Publikum? Schon gut, das ist eine rhetorische Frage. Aber nachdem er ja Abschied genommen hat von den avantgardistischen Perspektiven eines objektiven Zustandsglücks - ist er nicht immer noch der berufene Geist, das subjektive Vorgangsglück zu demonstrieren?

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